
Seit einigen Wochen sorgt eine Nachricht in der Handballwelt für Diskussionsstoff. Allen Anschein nach bittet Rückraum-Shooter Kim Ekdahl du Rietz um eine vorzeitige Auflösung seines bis 2018 laufenden Vertrags bei den Rhein-Neckar Löwen. Grund genug, die Ereignisse genauer unter die Lupe zu nehmen.
Kim Ekdahl du Rietz möchte die Rhein-Neckar Löwen zum Saisonende verlassen. Den 27-Jährigen zieht es in die Ferne- Paris oder Barcelona? Auch dort will der lange Schwede sicherlich gerne hin, doch nicht etwa zu einem neuen Top-Club, sondern an die schönsten Orte der Welt. Der zurzeit stark aufspielende Halblinke möchte seine Handballschuhe erst Mal im Schrank verstauen und sich auf Weltreise begeben.
Den Horizont erweitern
Bereits im Herbst 2014 hatte sich der damals erst 25-Jährige entschlossen, der schwedischen Nationalmannschaft aufgrund zu hoher Belastungen den Rücken zu kehren und sich voll und ganz auf die Liga zu konzentrieren. Nicht ohne Erfolg: nach dem frisch errungenen Meistertitel mit den Rhein-Neckar Löwen zeigt sich du Rietz auch in der neuen Saison wieder in Höchstform. Nun aber möchte er auf dem Zenit seiner Karriere eben diese beenden- oder zumindest unterbrechen.
Sind die Strapazen des Profihandballers zu hoch? Der Alltag unausgeglichen? Oder fehlt es du Rietz schlichtweg an Privatsphäre?
Du Rietz ist weder auf Facebook, noch auf Instagram aktiv, versucht sein Privatleben stets zu schützen. Nach dem Rücktritt aus der Nationalmannschaft widmete er sich in Heidelberg einem Psychologiestudium, es sei ihm wichtig „die richtige Balance zwischen Handball und seinem restlichen Leben zu finden“. Er spricht fünf Sprachen, liebt es neue Kulturen und Länder zu entdecken und war nicht zuletzt derjenige Spieler, der einen Tag nach dem Meisterschaftstriumph beim Empfang im Mannheimer Rathaus nicht aufzufinden war. Du Rietz folgte zu dem Zeitpunkt schon seiner wohl größeren Leidenschaft, dem Reisen.
Kleinwagen statt Nobelkarosse
Häufig heißt es, Handballer seien – jedenfalls im Vergleich zu so manchem Porsche-fahrenden Fußballprofi – sehr viel bodenständiger. Du Rietz ist da keine Ausnahme. Seine Karriere begann beim schwedischen Erstligisten LUGI HF Lund. 2011 wechselte er für eine Saison zum HBC Nantes nach Frankreich, ehe es ihn 2012 nach Mannheim verschlug. Für einen jungen Spieler ein ansehnlicher Handball-Lebenslauf, der du Rietz aber nie zu Kopf stieg. Es gab nie einen Hype um seine Person, den er auch stets zu vermeiden wusste. In Mannheim gefeiert als „ein junger Gott“, fährt er nicht in Nobelkarosse, sondern mit seinem Suzuki-Kleinwagen zur Halle. Statussymbole: Fehlanzeige.
„Er habe den Sport nie geliebt“
Ohne Zweifel, du Rietz ist ein außergewöhnlicher Handballer und Mensch, dessen Leben sich ganz bewusst nicht nur um das runde Leder dreht. Mit seiner Entscheidung, nicht mehr für Schweden auflaufen zu wollen, stieß er bei Ola Lindgren und auch anderen Landsmännern allerdings nur bedingt auf Verständnis. „Er habe den Sport nie geliebt“ und „sein Talent vergeudet“ druckten die schwedischen Medien.
Doch kann sich das Leben eines Profihandballers wirklich nur um den Sport drehen? Nicht wenige Spieler in der Bundesliga absolvieren neben dem Sportlerleben ein Studium oder eine Ausbildung. Selbst deutsche Nationalspieler wie Steffen Weinhold, Martin Strobel und Andreas Wolff studieren nebenbei Internationales Management und sorgen so für ihre Zukunft nach der Handball-Karriere.
Sein Hobby zum Beruf machen- alles schön und gut- Existenzängste plagen die Handball-Szene trotzdem.
In der Bundesliga kann lediglich der THW Kiel aus so einem ordentlichen Etat schöpfen, um seinen Sportlern einen überdurchschnittlichen Lebensstandard ermöglichen zu können. Alleine die Tatsache, in der stärksten Liga der Welt zu spielen, reicht eben nicht. Traurig, aber wahr.
Profivertrag mit 16: eine Zumutung?
Du Rietz erhielt seinen ersten Profivertrag mit 16 Jahren und spielte mit Lund gleich in der ersten schwedischen Liga, der Eliteserien. Als pubertierender Junge war er umgehend den hohen Belastungen ausgesetzt, wie viele andere junge Spieler auch. Immer wieder werden junge Talente in den Profihandball geradezu katapultiert.
Nicht zuletzt holte sich der THW Kiel zwei Top-Talente an die Förde. Mit dem Österreicher Nikola Bylik und dem Schweden Lukas Nilsson, der als 18-Jähriger sein Debüt im Tre-Kronor-Team bestritt, sind zwei Spieler 96er Jahrgangs feste Größen bei einem der besten Clubs der Welt.
Bilyk plagen derweilen mehrere Verletzungen, aufgrund derer er sein Team momentan nur abseits des Feldes unterstützen kann. Der Sprung in die stärkste Liga der Welt scheint selbst bei jungen Spielern nicht ohne Folgen zu bleiben.
Alternativen sind jedoch kaum auszumachen. Wer nicht zufällig der Jugend einer Handballmetropole entstammt, wie der Kieler Youngster Rune Dahmke, muss früh aus der Komfortzone heraus treten und seine Heimat verlassen. Der Schritt nach Europa ist oft unausweichlich, und wer nicht tagtäglich sein Hochleistungstraining abspult, Verletzungsgefahr hin oder her, verschwindet schnell wieder von der Bildfläche.
Eines der besten Beispiele dafür ist Christian Dissinger. Nach einem schwierigen internationalen Einstieg bei den Kadetten Schaffhausen, wo er sich früh seinen ersten Kreuzbandriss zuzog, wechselte er zum spanischen Club Atletico Madrid, der prompt insolvent ging.
Von den meisten abgeschrieben wechselte zurück in die Bundesliga. Heute ist er Nationalspieler, Europameister und steht beim Rekordmeister Kiel unter Vertrag. Jedoch auch er sagt heute, dass er kurz vor dem Karriereende stand und sich ein Leben abseits des Handballfeldes aufbauen wollte. Aber auch in dieser Spielzeit zieht der erst 25-Jährige einen radikalen Entschluss. Seine Entscheidung, eine Nationalmannschafts-Pause einzulegen, ist nur ein Zeichen dafür, dass die immensen Belastungen nicht für jeden Körper tragbar sind. Wenn der Kopf will, der Körper aber nicht mehr kann- das ist leider keine Seltenheit mehr.
Du Rietz auf Abwegen- Erst der Anfang?
In der Causa du Rietz hingegen stehen die Zeichen auf Abschied, ob zum Saisonende oder erst 2018 steht noch nicht fest. Sicher ist jedoch, dass er seine Karriere beenden möchte und ein Leben abseits des Handballs anstrebt.
Muss der DHB befürchten, dass dieses Beispiel Schule macht?
Im Einzelfall wird es jedenfalls nicht zu vermeiden sein. Solange Handballer gezwungen sind, sich schon während ihrer Karriere anderweitig abzusichern, besteht auch immer die Gefahr, dass die zweite Leidenschaft früher ruft, als es sich Trainer und Verband wünschen würden.
Vielleicht ist es aber auch einfach nur Typ-Sache und du Rietz möchte sich schlichtweg nicht mit dem Leben als Handball-Profi zufrieden geben. Ob im Studium oder im Beruf- Zweifel und Gedanken über die Zukunft beschäftigen wohl jeden. Im Gegensatz zu du Rietz, dessen sportlicher Weg seit seiner Jugend vorgeschrieben war, können sich seine Altersgenossen hingegen noch frei neuen Dingen widmen, ohne an sämtlichen Ecken auf Kritik zu stoßen.
Ist seine Entscheidung also so verwerflich? Und besagt nicht ein altes Sprichwort, dass man dann aufhören sollte, wenn es am schönsten ist? Wir sind gespannt auf seine Entscheidung und ob diese auch in Zukunft auf andere abfärben wird...